Objektive Hermeneutik
Die Objektive Hermeneutik ist ein qualitatives und methodisch kontrolliertes Verfahren zur Rekonstruktion latenter Sinnstrukturen in narrativen Texten und sozialen Interaktionen. Diese Methode beruht auf der Annahme, dass jedes soziale Handeln regelgeleitet ist und somit einer impliziten Ordnung folgt, die es interpretativ zu erschließen gilt. Im Zentrum steht dabei nicht die subjektive Absicht der Handelnden, sondern die systematische Entschlüsselung der sozialen Regeln und Bedeutungen, die sich latent, das heißt nicht unmittelbar sichtbar, in den Äußerungen und Handlungen manifestieren.
Sie verfolgt somit das Ziel, soziale Wirklichkeit auf einer tieferen Ebene zu verstehen. Hierfür bedient sie sich eines schrittweisen Vorgehens, das durch sequenzielle Analyse, Kontextfreiheit und methodische Kontrolle gekennzeichnet ist. Anhand der folgenden Inhalte erhalten Sie methodische Orientierungshilfen sowie exemplarische Fallanalysen, die zeigen, wie diese systematische Rekonstruktion konkret angewendet wird. Dadurch sollen Sie in die Lage versetzt werden, soziale und pädagogische Situationen differenziert zu interpretieren und zugleich die zugrundeliegenden Sinnstrukturen sichtbar zu machen.
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1. Schema und Leitfaden zur methodischen Rekonstruktion
Die Objektive Hermeneutik beruht auf fünf grundlegenden Interpretationsprinzipien: Kontextfreiheit, Wörtlichkeit, Sequentialität, Extensivität und Sparsamkeit. Diese Prinzipien gewährleisten, dass Interpretationen methodisch kontrolliert und systematisch durchgeführt werden. Wie sich diese Prinzipien konkret auf die Rekonstruktion sozialer Interaktionen und narrativer Texte anwenden lassen, zeigt ein schematischer Leitfaden, der die methodischen Schritte systematisch und praktisch abbildet. Am Ende des Dokuments befindet sich zudem eine Auswahl vertiefender Literatur, die eine weitergehende Beschäftigung mit der Methode ermöglicht.
Prinzipien der Objektiven HermeneutikPDF, 90 KBVorgehen in der RekonstruktionPDF, 157 KB -
2. Beispiele aus den „falltiefen“
Die hier zusammengestellten Interpretationsbeispiele aus der institutseigenen Zeitschrift „falltiefen“ veranschaulichen die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten der Objektiven Hermeneutik. Sie zeigen nicht nur unterschiedliche methodische Umsetzungen, sondern machen auch die thematische Bandbreite deutlich, mit der latente Sinnstrukturen in pädagogischen und sozialen Interaktionen rekonstruiert werden können. Nachfolgend ist eine kleine Auswahl von Texten dargelegt.
• Sonja Hintze (2016): „Dann bekommst du ja noch weniger Punkte!“ – Eine objektiv-hermeneutische Interpretation einer pädagogischen Entgrenzung.
• Cornelia Anastasia Krupa (2018): Lehrende in Legitimationsnot – Die Belastung der Lehrer-Schüler-Interaktion durch den falschen Anspruch der „Objektivität“ schulischer Leistungsbeurteilungen.
• Alexander Runge (2020): „Ja dann setzen Sie sich halt hinten rein.“ – Zum Statusproblem von Lehramtsstudierenden im Praktikum.
• Bianca Saborowski (2022): Zur Problematik der Reproduktion von Geschlechterstereotypen im Schulalltag.
• Leon Wulf (2023): Ein „eigentlich richtiges Familienleben“ – Ablösung, Individuation und Generativität entlang der familialen Generationsachse anhand des schulischen Auslandsaufenthaltes.
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3. Beispiele aus Masterarbeiten
Ebenso verwenden Masterarbeiten am Institut die Objektive Hermeneutik, um unterschiedlichste Fragestellungen und Kontexte zu bearbeiten. Diese Arbeiten verdeutlichen sowohl die methodische Vielfalt als auch das Potenzial der Methode, latente Sinnstrukturen in vielfältigen sozialen und narrativen Interaktionen sichtbar zu machen.
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4. Weitere Fallportale und Ressourcen
Für die Auswahl und Analyse geeigneter Materialien zur objektiv-hermeneutischen Rekonstruktion bietet nicht nur das institutseigene Fallarchiv KASUS eine fundierte Grundlage. Auch überregionale und fachdidaktisch ausgerichtete Fallportale stellen umfangreiche Sammlungen von Texten, Videomaterialien und Protokollen bereit, die sich für eine methodisch kontrollierte Analyse eignen. Diese Archive unterscheiden sich teils deutlich in ihren thematischen Schwerpunkten, in der medialen Aufbereitung des Materials sowie in den didaktischen Zielsetzungen. Daher empfiehlt sich ein vergleichendes Stöbern, um je nach Fragestellung geeignetes Material zu finden.
Die folgenden Portale können als ergänzende Ressource zur eigenen Fallarbeit dienen und ermöglichen darüber hinaus auch einen Einblick in unterschiedliche disziplinäre Perspektiven und Fallformate. Neben diesen digitalen Archiven eröffnet jedoch auch die eigenständige Materialerschließung – etwa durch Transkriptionen aus Unterrichtsbeobachtungen, dokumentarischem Filmmaterial oder Interviews – vielfältige Möglichkeiten. Wie im Leitfaden ausgeführt, ist für die Analyse entscheidend, dass das Ausgangsmaterial sorgfältig dokumentiert und entlang der Prinzipien der Objektiven Hermeneutik bearbeitet wird. Zugleich ist darauf hinzuweisen, dass der Zugang zu einigen Portalen nur nach vorheriger Registrierung möglich ist und die Nutzungsbedingungen variieren können.